Es macht einen Unterschied

Argumente für eine Verankerung der Rechte der Natur
im Grundgesetz anhand von Beispielen der Rechtsprechung

Der nachfolgende Text entstand in Zusammenarbeit mit Thore Vetter, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Europäische Rechtspolitik und am Lehrstuhl von Prof. Fischer-Lescano, Uni Bremen. Herr Vetter forscht im Rahmen des DFG-Projektes „Natur als Rechtsperson" seit Jahren mit den Rechten der Natur und den Möglichkeiten und Konsequenzen der Transferierung und Implementierung der Rechte der Natur ins deutsche und europäische Rechtssystem

Seit ihren Anfängen hat die Forderung der Rechte der Natur (RdN) mittlerweile erfolgreich den Weg von einem rechtstheoretischen Konzept(1) zu einem praktisch relevanten und erprobten Rechtsinstrument genommen. Seit der Aufnahme konkreter RdN in die ecuadorianische Verfassung 2008(2) haben natürliche Entitäten, wie Flüsse, Tiere oder Berge weltweit vielerorts eigene Rechte erhalten, entweder durch explizite Verfassungsänderungen oder wegweisende Gerichtsentscheidungen.(3)

Dadurch, dass der Diskurs mittlerweile auch in Deutschland an Fahrt gewonnen hat, stellt sich auch hier vermehrt die Frage, ob und wie RdN mit dem deutschen Rechtssystem vereinbar sind und welche Folgen ihre Anerkennung für das deutsche Rechtsgefüge hätte. Die Forderung nach RdN trifft in der Bundesrepublik auf ein traditionell anthropozentrisches Rechtssystem. Teile der Rechtswissenschaft stehen natürlichen Eigenrechten daher immer noch ablehnend mit Verweis auf angebliche Inkompatibilitäten entgegen oder sehen in ihnen keinen Vorteil gegenüber dem bisherigen Umwelt(schutz-)recht.(4) Doch handelt es sich bei RdN tatsächlich nur um „Verfassungspoesie“ und nicht durchsetzbare Naivitäten(5) oder können sie ein valides und ernstzunehmendes rechtliches Instrument zur Gestaltung eines ökosensiblen und damit zukunftsfähigen Zusammenlebens zwischen Mensch und Natur sein?

I.Rechtlicher Status quo der Natur: Objekt im System subjektiver Rechte

Das deutsche Rechtssystem ist im Kern ein System subjektiver Rechte. Dies bedeutet, dass es auf der Fähigkeit einzelner (Rechts-)personen beruht, Inhaberin individueller Rechte zu sein. Im anthropozentrischen Rechtssystem ist die Fähigkeit, Rechtsperson zu sein, dabei grundsätzlich Menschen vorbehalten: sie sind –als Ausfluss der Menschenwürde gem.Art. 1 Abs. 1 GG als so genannte „natürliche“ Personen stets rechtsfähig.

Daneben treten die sogenannten „juristischen“ Personen, die gem. Art. 19 Abs. 3 GG grundsätzlich ebenfalls Inhaberinnen von (Grund-)rechten sein können. Zu ihnen zählen etwa Gesellschaften des Privatrechts, Vereine, aber auch die staatlichen Gebietskörperschaften –die Gemeinden, Länder, der Bund.

Aus dem System subjektiver Rechte folgt auch, dass Rechtspersonen grundsätzlich nur die Verletzung ihrer eigenen Rechte rügen können –sog. Popularklagen, also die gerichtliche Geltendmachung objektiver Rechtsverletzungen, sind im deutschen Rechtssystem demgegenüber grundsätzlich nicht vorgesehen.

Die Natur bzw. natürliche Entitäten sind bisher nicht als juristische Personen bzw. Träger*innen von Rechten iSd Art. 19 Abs. 3 GG anerkannt. Der im Grundgesetz für den Umwelt-und Naturschutz zentrale Artikel 20a wird bisher gemeinhin als lediglich objektive Norm und sog. Staatszielbestimmung aufgefasst, die keine subjektiven Rechte vermittelt und gegen deren Verletzung daher nicht (im Namen der Natur) geklagt werden kann.

Soweit jemand in Deutschland also gerichtlich z.B. gegen Umweltzerstörungen vorgehen möchte, muss dadurch grundsätzlich zugleich eine Verletzung eigener, menschlicher, Rechte nachgewiesen werden –die Zerstörung eines Fluss-Ökosystems oder die Verseuchung von Böden kann also zunächst nur dann gerügt werden, wenn der*die Kläger*in zugleich Eigentümer*in (vgl. Art. 14 Abs. 1 GG) des betroffenen Grundstücks ist oder darlegen kann, dass durch die Umweltzerstörung z.B. Gefahr oder Schaden für ihre Gesundheit (vgl. Art. 2 Abs. 2 GG) besteht.

Diese Ausgestaltung des Rechtssystems führte in der Vergangenheit dazu, dass verschiedene Klagen im Namen der Natur oder einzelner Naturentitäten vor deutschen Gerichten scheiterten. Dies betrifft sowohl Rügen vor dem Verfassungsgericht, als auch den einfachen Rechtsweg vor den Verwaltungsgerichten –etwa Klagen gegen potenziell umweltschädliche Bauvorhaben –und den ordentlichen Gerichten –z.B. Klagen auf Schadensersatz gegen Unternehmen infolge von Umweltzerstörung. Zwar hat der deutsche Gesetzgeber in der Vergangenheit Ausnahmen in Gestalt sog. Umweltverbandsklagen geschaffen –demnach können nun anerkannte Umwelt-oder Naturschutzvereinigungen in bestimmten Fällen auch ohne Verletzung eigener Rechte gegen Umweltzerstörungen klagen –dies betrifft jedoch nur die Verletzung des einfachen Rechts, also z.B. des Umweltschutzgesetzes oder des Naturschutzgesetzes und nicht die verfassungsrechtliche Ebene.(6)

Neben Vorschlägen, die bestehenden Verfassungsnormen im Sinne einer erweiterten Rechtsauslegung zugunsten der Anerkennung der Rechte der Natur zu weiten –den bestehenden Art. 20a GG also als Grundlage subjektiver Rechte der Natur auszulegen und die Natur beispielsweise schon unter dem jetzigen Art. 19 Abs. 3 GG als „juristische Person“ anzuerkennen,(7) versprechen insbesondere Vorschläge zur expliziten Aufnahme natürlicher Eigenrechte den größten Erfolg für eine klare und damit rechtssichere Ausgestaltung natürlicher Eigenrechte.(8)

Denn auch der Verfassungsprozess Ecuadors zeigte, dass mit der konstitutionellen Implementierung der RdN der Diskurs noch nicht beendet ist, im Gegenteil bilden ausdrückliche RdN –nicht anders als Menschenrechte –erst die Grundlage für folgenreiche Diskurse über ihren konkreten Inhalt, Ausgestaltung und Verhältnis zu anderen natürlichen, insbesondere aber auch menschlichen, Rechtspositionen.

II. Rechte der Natur im Grundgesetz: Folgenreiche Verfassungsänderung?

Nach den Vorschlägen der „Initiative Rechte der Natur zur Grundgesetzreform“ würden Rechte der Natur sowohl in Art. 1 (dort in einem neuen Abs. 2), als auch durch Neufassung des Art. 20a explizit ins Grundgesetz aufgenommen.(9) Durch einen neuen Absatz in Art. 19 GG soll zudem die Rechtspersonalität der Natur ausdrücklich klargestellt werden. Zudem beinhaltet der Vorschlag die Formulierung ausdrücklicher Schrankengrenzen in den Menschenrechten der allgemeinen Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG und des Eigentums, Art. 14 Abs. 1 GG.(10)

Die Reform könnte weitreichende Folgen für das deutsche Rechtssystem haben und in Zukunft den Unterschied hin zu einem ökosensiblen Rechtssystem machen. Neben der verfassungsrechtlichen Ebene beträfe die Reform insbesondere auch das Verwaltungsrecht, wirkt sich aber auch auf zivilrechtliche Rechtsstreite aus und könnte Grundlage für ein erweitertes Umweltstrafrecht sein.(11)

Im Folgenden soll exemplarisch auf einige Fälle aus der deutschen Rechtsprechung eingegangen und mit Verweis auf die Rechtssysteme, in denen RdN schon (zumindest teilweise) anerkannt sind,auf die Folgen eingegangen werden, die RdN ganz konkret haben können.

1. Rechte der Natur als subjektive Rechte im Grundgesetz

Die vorgeschlagenen Reformen könnten zunächst zu einer Stärkung der Natur auf verfassungsrechtlicher Ebene führen. Zentrales Instrument für die Geltendmachung von Grundrechtsverletzungen vor dem Bundesverfassungsgericht ist die Verfassungsbeschwerde.

Gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG i.V.m. §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG entscheidet das Bundesverfassungsgericht über Beschwerden, mit denen „jedermann“ vor dem Verfassungsgericht die Verletzung ihrer*seiner individuellen Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte geltend machen kann. Unter „jedermann“ werden hierbei sowohl Menschen als „natürliche Personen“, als auch juristische Personen verstanden. Die Anerkennung von Rechtspersonalität und ausdrücklichen Rechten der Natur würde hier den Weg auch für Naturentitäten ebnen, die Verletzung ihrer Rechte (via Stellvertretung) vor dem Verfassungsgericht geltend zu machen.(12)

Das BVerfG sieht im Grundgesetz bisher keine RdN enthalten. Auch in seinem wegweisenden Klimabeschluss vom März 2021 musste es daher auf rechtliche Hilfskonstruktionen zurückgreifen. Während es eine mögliche Verletzung von Art. 20a GG unter Verweis auf den objektiven Charakter der Norm ablehnte (Art. 20aGG aber zugleich als justiziable Rechtsnorm, die im Rahmen der Rechtfertigung von Eingriffen in menschliche Rechte berücksichtigt werden muss, anerkannte)(13), erachtete es die beschwerdegegenständliche damalige Fassung des Klimaschutzgesetzes allein deshalb als für den Klimaschutz defizitär, weil die Beschwerdeführer*innen durch heute unzureichende Klimaschutzmaßnahmen in der Zukunft möglicherweise ungleich drastischere Grundrechtseingriffe dulden müssten.

Unzureichender Klimaschutz heute könne also, so die Verfassungsrichter*innen, in einer intertemporalen Dimension in die Grundrechte von zukünftigen Generationen eingreifen.(14)

Das BVerfG berücksichtigte im Rahmen der Prüfung einer möglichen Verletzung von staatlichen Schutzpflichten nach Art. 2 Abs. 2 GG gegen die negativen Auswirkungen des Klimawandels auf Menschen jedoch ausdrücklich auch die Möglichkeit von menschlichen Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel –wie etwa „Kälteinseln“ in Städten oder Erhöhungen von Deichen.(15)

Hier wird der anthropozentrische Charakter des Grundgesetzes besonders deutlich. Das BVerfG erachtete den Eigenwert der Natur im Rahmen des Art. 20a GG nicht als entscheidungserheblich, sondern konnte die möglichen Folgen des Klimawandels stets allein im Zusammenhang mit möglichen Verletzungen von menschlichen Grundrechten werten.

Eine deutliche Formulierung natürlicher Eigenrechte sowohl im Art. 20a GG als auch in den Schrankenbestimmungen der übrigen Grundrechte könnte diese Lücke schließen. Denn auch wenn sog. Anpassungsmaßnahmen etwa an den Klimawandel ein mögliches Mittel sein können, um dessen schädliche Folgen für den Menschen kurzfristig zu mildern, gilt dies keinesfalls für die Natur.

Gleichzeitig würden so Gefährdungen für die natürliche Umwelt sowohl durch den Klimawandel als auch durch schädliche anthropogene Emissionen justiziabel, deren schädliche Auswirkungen auf menschliche Rechtspositionen (noch) nicht nachweisbar ist und so mittelbar auch der Rechtsschutz gegen potentielle Gefahren für den Menschen gestärkt.

Der Kolumbianische Oberste Gerichtshof betonte diese Interdependenzen bereits im Jahr 2018 in seinem Amazoniá-Urteil und entschied, dass der kolumbianische Teil des Amazonasgebiets Träger und Subjekt eigener Rechte sei und dass dessen Bedrohung durch den Klimawandel zugleich eine Gefahr für das Recht der jugendlichen Kläger*innen unter anderem auf eine gesunde Umwelt, Leben und Zugang zu Wasser darstelle.(16)

Ein Blick nach Ecuador zeigt auch hier wieder die Potenziale, die Rechte der Natur in der Verfassungspraxis entfalten können. Hier entschied das Verfassungsgericht jüngst zugunsten des Nebelwaldes Los Cedrosund stoppte ein dort geplantes Bergbauprojekt.(17)

Die Verfassungsrichter*innen bezogen sich in ihrer Entscheidung ausdrücklich auf die in Art. 10 Abs. 2 und 71 Abs. 1 der Verfassung Ecuadors enthaltenen Rechte der „Natur oder Pacha Mama“.

Bemerkenswert ist, dass das Gericht bereits im Prozess verschiedene Fürsprecher*innen für die unterschiedlichen im Nebelwald präsenten natürlichen Entitäten, aber auch Vertreter*innen menschlicher Interessen anhörte und somit ein differenziertes Bild des Ökosystems Wald zeichnete.(18)

Die Rechte der Natur fungierten hier nicht bloß als justiziables objektives Recht, sondern als Grundlage einklagbarer subjektiver Rechte, die gerichtlichen Zugang für die Eigeninteressen von Ökosystemen und ihren verschiedenen, differenzierten Teilnehmer*innen schaffen kann.(19)

Das Gericht bestätigte diese Linie inzwischen in mehreren anderen Verfahren, bspw.zu den Rechten des Río Aquepi, dessen Rechte es durch ein Bewässerungsprojekt verletzt sah(20) und im Falle des Rió Monjas, zu dessen integraler Wiederherstellung (reparación integral)in seinem natürlichen Ökosystemes die Stadtverwaltung von Quito verurteilte.(21)

In eine ähnliche Richtung weist auch eine neuere Entscheidung des spanischen Parlaments, das Anfang April 2022 entschied, die bereits stark durch Emissionen der Landwirtschaft belastete Mittelmeerlagune Mar Menor mit Rechtspersönlichkeit und eigenen Rechten auszustatten.(22) Nach dem Gesetzesentwurf sollen in Zukunft sämtliche Bürger*innen Rechte im Namen der Lagune einklagen dürfen.(23)

2. Auswirkungen auch auf das Verwaltungsrecht

Praktisch noch bedeutsamer dürfte sich die verfassungsrechtliche Verankerung von RdN auf Verfahren vor den Verwaltungsgerichten auswirken, etwa bezüglich der Anfechtung von Bauvorhaben oder der Verpflichtung der öffentlichen Hand zum Tätigwerden gegen umweltschädliche Tätigkeiten oder Auswirkungen.(24) Auch gemäߧ 42 Abs. 2 VwGO sind Klagen nur dann zulässig, wenn die Kläger*innen die Verletzung eigener Rechte geltend machen können. Dies setzt daher regelmäßig sowohl voraus, dass die Kläger*innen überhaupt Inhaber*innen von Rechten sein können, als auch, dass im Einzelfall konkrete Rechtsverletzungen in Frage kommen. Dieses Erfordernis der Klagebefugnis ist regelmäßig der Flaschenhals, an dem verwaltungsgerichtliche Klagen im Namen der Natur scheitern.(25)

a. Zwischen Flüssen und Bergbau

Die Rechte der Natur und Rechte der Menschen können in vielfältiger Weise miteinander verwoben sein. Im April 2019 nahm das ecuadorianische Verfassungsgericht die Beschwerde der Gemeinde San Pablo Amalí zur Entscheidung an, die die Rechte des Dulcepamba Flusses geltend machten.(26)

Die Errichtung eines Wasserkraftwerkes durch den Energiekonzern Hidrotambo S.A. führte zur Veränderung des natürlichen Flusslaufes, infolge dessen es zu mehreren sturzflutartigen Überschwemmungen der Gemeinde kam(.27)

Die Gemeindevertreter*innen bezogen sich in ihrer Beschwerde konkret auf die Rechte des Flusses, der in seinem natürlichen Lauf gestört worden sei. Bereits zuvor hatte ein Provinzgericht in Loja in einem ähnlichen Fall die Verletzung der Rechte des Flusses Vilcabambabejaht.(28) Auch das jüngste Urteil im Falle des Monjas-Flusses(s.o.) betraf die Wiederherstellung des natürlichen Flussverlaufs und –ökosystems.

In ähnlich gelagerten Fällen in Deutschland wären Klagen aktuell entweder nur unter Behauptung eigener menschlicher Rechte, etwa bei Verletzungen des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 GG oder bei Gefahren für Leib und Leben von Menschen nach Art. 2 Abs. 2 GG möglich oder unter bestimmten Umständen im Anwendungsbereich der Verbandsklagen von Umweltverbänden (vgl. oben). Beispiele aus dem Hambacher Forst zeigen aber, dass selbst die formelle Eigentümerschaft im Einzelfall keinen Rechtsschutz garantiert.

Die Rechtsprechung hat in Fällen, in denen bspw. Umweltverbände das Eigentum an Grundstücken, die vom Tagebau bedroht sind, von den vorherigen Eigentümer*innen übertragen bekommen haben, mehrfach eine „missbräuchliche“Erlangung des Eigentums zum Zwecke der Prozessführung angenommen (sog. „Sperrgrundstücke“) und die Klagebefugnis entsprechend verneint.(29)

Rechte für natürliche Entitäten wie Flüsse oder auch Wälder könnten auch hier den Weg bereiten, um deren, im Einzelfall konkret zu differenzierende, Interessen gerichtlich zu schützen.(30)

b. Klageweg für Robben, Schweine und Affen

In der Vergangenheit haben zudem insbesondere verschiedene Klagen im Namen von Tieren Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Bekannt dürfte das Beispiel der sog. Robbenklage sein. Ende der 1980er Jahre wandten sich Aktivist*innen mit Unterstützung mehrerer Umweltverbände im Namen der Robben der Nordsee gegen die Bundesrepublik Deutschland um die Verklappung und Verbrennung von Industrieabfall in der Nordsee zu verhindern. Das Verwaltungsgericht Hamburg wies den Antrag als „offensichtlich unzulässig zurück.“(31) Den Nordseerobben fehle, „da sie Tiere sind, die Beteiligungsfähigkeit gem. § 61 VwGO“.(32) Das Gericht ließ die Klage insofern schon an der fehlenden Rechtsfähigkeit der Robben scheitern und nahm zur Frage der Antragsbefugnis –also einer möglichen Verletzung der Robben in eigenen Rechten– keine Stellung mehr.

Zu vermuten ist, dass es ähnliche Gründe waren, die das Bundesverfassungsgericht im Sommer 2021 zur Abweisung einer Verfassungsbeschwerde leiteten, die die Tierrechtsorganisation PETA bereits 2019 im Namen männlicher Ferkel eingelegt hatte.(33) Die Beschwerdeführer*innen wandten sich gegen die zwischenzeitlich erneut verlängerte, in § 21 Abs. 1 TierschG vorgesehene Möglichkeit der betäubungsfreien Kastration männlicher Ferkel.(34) Mit seiner begründungslosen Nichtannahme der Beschwerde ließen die Verfassungsrichter*innen erkennen, dass sie ihr keine grundsätzliche Bedeutung zumaßen und insofern mutmaßlich keine Revision des tierlichen Rechtstatus formulieren konnten oder wollten.(35)

Auch in diesen Fällen kann die ausdrückliche Aufnahme von natürlichen Eigenrechten den Rechtsschutz stärken, soweit Tiere als Teil der Natur begriffen werden.Dies zeigt erneut der Blick nach Ecuador. Das Verfassungsgericht Ecuadors entschied im Falle des Chorongo-Äffin Estrellita zum einen, dass die Rechte der Natur auch für all ihre Mitglieder, also auch individuelle Tiere, gelten; zum anderen, dass RdN Tieren ein materielles Recht auf ihre natürliche Entfaltung vermitteln.(36) Insofern enthalten RdN also nicht nur subjektive Rechte und Rechtspersönlichkeit für die Natur oder Ökosysteme als Ganzes, sondern auch potenziell für all ihre tierlichen und pflanzlichen Teilmitglieder.

III. Fazit

Subjektive Rechte der Natur, verstanden als Konvolut aus der Anerkennung von Rechtspersonalität für natürliche Entitäten und der Garantie materieller Rechte könnten ein probates Mittel darstellen, um in Zukunft einerseits den jeweiligen Eigenwert von Ökosystemen, aber auch ihren Mitgliedern, Pflanzen und Tieren, im Recht adäquat abzubilden und andererseits den Weg für effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu sichern. Der Blick insbesondere nach Ecuador zeigt, dass RdN nicht bloß hohle Formalitäten sind, sondern ganz konkret den Unterschied zwischen der aktuell rechtlich verfassten Rechtlosigkeit der Natur und einem ökosensiblen Grundrechtsschutz machen können.

Eine gänzlich andere Frage ist freilich, wie RdN im Einzelfall untereinander, aber auch im Verhältnis zu Menschenrechten abgewogen und ausbalanciert werden. Diese Frage stellt sich aber auch fortwährend im Bereich der menschlichen Grundrechte und sollte jedenfalls nicht prinzipiell gegen die Implementierung von RdN auf Verfassungsebene sprechen.

1Bekanntlich wegweisend hier:Stone, Should trees have Standing? –Towards Legal Rights for Natural Objects,Southern California Law Review 45 (1972), S. 450 ff.

2Dazu grundlegend: Gutmann, Hybride Rechtssubjektivität, Die Rechte der „Natur oder Pacha Mama“ in der ecuadorianischen Verfassung von 2008, Baden-Baden 2021.

3Ein Überblick findet sich hier: Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, Zur Diskussion über die Anerkennung einer eigenen Rechtspersönlichkeit für Natur undUmwelt,19. November 2021, Az. WD 8 -3000 -089/21, https://www.bundestag.de/resource/blob/876916/12655a8f9a2118dda5eb45075e1dbd50/WD-8-089-21-pdf-data.pdf(letzter Abruf 17.04.2022).

4Etwa Gärditz, in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 96. EGL 2021, Art. 20a GG, Rn. 23.

5Zu diesen Kritiken auch Fischer-Lescano,Natur als Rechtsperson, Konstellation der Stellvertretung im Recht, ZUR 29 (2018), S. 205 ff.

6Vgl. § 64 BNatSchG, § 2 UmwRG; dazu auch Ewering/Vetter, Invisibilising Nature. Procedural Limits and Possibilities to Environmental Litigitation in German Law, VRÜ/WCL 3 (2021), S. 385 f.; vgl. Fischer-Lescano, Fn. 5.

7Vgl. Fischer-Lescano,Fn. 5, S. 208; Gruber, Rechtsschutz für nichtmenschliches Leben, Baden-Baden, 2006.

8Grundsätzlich dazu etwa Kersten, Natur als Rechtssubjekt –Für eine ökologische Revolution des Rechts, APuZ 11/2020, S. 27 ff.

9https://www.rechte-der-natur.de/de/initiative-grundgesetzreform.html(letzter Abruf: 16.04.2022)

10In eine ähnliche Richtung stößt auch eine Initiative, die RdNin die bayerische Landesverfassung aufnehmen möchte, https://gibdernaturrecht.muc-mib.de/vb_bayern. Im föderalen System der Bundesrepublik erscheint die gleichzeitige Aufnahme von RdN in den Landesverfassungen als gangbarer und probater Weg, um auch lokale Besonderheiten der Natur rechtlich abzubilden. Mit einer Einordnung des Volksbegehrens zu seinen rechtlichen Konsequenzen und Hürden: Ewering/Gutmann,Gibt Bayern der Natur Rechte?, VerfBlog,10. September 2021, https://verfassungsblog.de/gibt-bayern-der-natur-rechte/, DOI: 10.17176/20210910-213950-0(jeweils letzter Abruf 17.04.2022).

11Dazu auch bereits: Ewering/Vetter,Fn. 6.

12Vgl. auch ebd., S. 388.

13BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. März 2021, -1 BvR 2656/18 -, Rn. 112,205 ff.

14Ebd. Rn. 182 ff.

15Ebd. Rn. 150, 164.

16Corte Suprema de Justicia República de Colombia, Urteil vom 05. März 2018, Rs. STC4360-2018, englische Zusammenfassung: https://www.escr-net.org/caselaw/2019/stc-4360-2018(letzter Abruf 17.04.2022); Vgl. auch Gutmann, Fn.2, S. 91.

17Corte Constitucionaldel Ecuador, Urteil vom 10. November 2021, Rs. 1149-19-JP/21, spanische Pressemitteilung: https://www.corteconstitucional.gob.ec/index.php/boletines-de-prensa/item/1262-caso-nro-1149-19-jp-21-revisi%C3%B3n-de-sentencia-de-acci%C3%B3n-de-protecci%C3%B3n-bosque-protector-los-cedros.html(letzter Abruf 17.04.2022); Für eine umfassende deutschsprachige Einordnung siehe Gutmann, Der Nebelwald als Rechtssubjekt, KJ 55 (2022), S. 27 ff.

18Gutmann, Fn. 17,S. 31. ff.

19Ebd, S. 33 ff.

20Corte Constitucional del Ecuador, Urteil vom 15. Dezember 2021, Rs. 1185-20-JP/21, Rn. 47 ff., Decisión, http://esacc.corteconstitucional.gob.ec/storage/api/v1/10_DWL_FL/e2NhcnBldGE6J3RyYW1pdGUnLCB1dWlkOidlMGJiN2I1NC04NjM5LTQ1ZmItYjc4OS0yNTFlNTFhZWI2YTEucGRmJ30=(letzter Abruf 17.04.2022).

21Corte Constitucional del Ecuador, Urteil vom 19. Januar 2022, Rs. 2167-21-EP/22,Rn. 116 ff.,Decisión, http://esacc.corteconstitucional.gob.ec/storage/api/v1/10_DWL_FL/e2NhcnBldGE6J3RyYW1pdGUnLCB1dWlkOic5OWVmN2EyZC1kM2I5LTQwOWQtOWY4ZS1jMDc3YzYxYWQ2ZGMucGRmJ30=(letzter Abruf 17.04.2022).

22https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/gefaehrdete-lagune-in-spanien-bekommt-eigene-rechte(letzter Abruf 17.04.2022).

23vgl. auch https://www.rechte-der-natur.de/de/aktuelles-details/135.html(letzter Abruf 17.04.2022).

24Zur verfahrensrechtlichen Absicherung der RdN im ecuadorianischen Verwaltungsrecht siehe Gutmann, Fn. 2, S. 214.

25Ewering/Vetter, Fn. 6, S.383 ff.

26Vgl. Nelson, The Dulcepamba River gets it day in court, https://www.greatlakeslaw.org/blog/2019/06/the-dulcepamba-river-gets-its-day-in-court-rights-of-nature-and-constitutional-law-in-ecuador.html(letzter Abruf 17.04.2022).

27Ein Überblick hier: Ewering/Vetter, Fn.6,S. 379 ff.

28Corte Provincial de justicia de Loja, Entscheidungvom 30. März 2011, Az. 11121-2011-0010, https://elaw.org/system/files/ec.wheeler.loja_.pdf(letzter Abruf 17.04.2022).

29Vgl.VG Köln, Urteil vom 12. März 2019 -14 K 4496/18, Rn. 32 ff.

30Mit einer vergleichenden Betrachtung des Hambacher Falls unter den ecuadorianischen Rechten der Natur: Narváez Alvarez, Naturaleza, ecosistemas y acceso a la justicia: Estudio del caso Bosque de Hambach –Alemania, VRÜ/WCL 3 (2021),S. 352 ff.

31 VG Hamburg, Beschluss vom 22. September 1988 -7 VG 2499/88, NVwZ 1988, 1058.

32Ebd.

33https://www.peta.de/kampagnen/grundrechte-fuer-tiere/(letzter Abruf 17.04.2022).

34Vgl. zu den Gründen der Beschwerde: Ziehm,Tiere als Rechtsperson, EurUP 1 (2020), S. 105 ff.

35Einordnend: Mührel,Standing for Piglets: The Locus Standi of Non-Human Beings Under the German Constitution,VerfBlog vom 09. Juni 2021,https://verfassungsblog.de/standing-for-piglets/(letzter Abruf 17.04.2022).

36Corte Constitucional del Ecuador, Urteil vom 27. Januar 2022, Rs. 253-20-JH, engl.:https://animal.law.harvard.edu/wp-content/uploads/Final-Judgment-Estrellita-w-Translation-Certification.pdf. Dazu auch Gutmann, Monkeys in Their Own Right: The Estrellita Judgement of the Ecuadorian Constitutional Court, VerfBlog vom 22. Februar 2022, https://verfassungsblog.de/monkeys-in-their-own-right/(jeweils letzter Abruf 17.04.2022).

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