Originaltext auf dem Verfassungsblog 2023/2/28, unter https://verfassungsblog.de/towards-european-rights-of-nature/
Übersetzt mit deepl.com – Veröffentlicht unter CC4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0//legalcode
Von Jasper Mührel
Jasper Mührel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völkerrecht, EU-Recht und Rechtsvergleichung an der Universität Jena.
Beitragsbild von Antonio López auf Pixabay
Am 24. Februar diskutierte Marie-Christine Fuchs in diesem VerfassungsBlog das spanische Mar-Menor-Gesetz aus dem Jahr 2022 – den ersten Fall von Naturrechten in Europa – im Lichte lateinamerikanischer Präzedenzfälle und der Kritik, der sich das Gesetz seitens der Rechtspopulisten in Spanien ausgesetzt sieht. Ob das Gesetz das erste Gesetz in Europa bleibt, das einer nicht-menschlichen natürlichen Einheit Rechte gewährt, wird nun vom spanischen Verfassungsgericht entschieden. In ihrer Analyse der sozio-rechtlichen Grundlagen des Mar Menor-Gesetzes argumentiert Fuchs, dass es eine “fragilere argumentative Basis" als Präzedenzfälle in Lateinamerika hatte. Der spanische Gesetzgeber hätte das Gesetz auf eine solidere Grundlage stellen müssen, damit es Einwänden standhalten kann. Im Gegensatz dazu wird in diesem Artikel argumentiert, dass es dem spanischen Gesetzgeber aufgrund der Gesetzesinitiative des Volkes gelungen ist, das Mar-Menor-Gesetz auf eine eigene argumentative Grundlage zu stellen und damit die Tür für eine wirklich westlich-liberale Konzeption und Umsetzung von Naturrechten in Europa zu öffnen.
Der erste Kritikpunkt von Fuchs ist, dass das Mar-Menor-Gesetz mit seinem neuen nicht-anthropozentrischen Ansatz nicht durch die anthropozentrische spanische Verfassung gestützt wurde. Es ist richtig, dass sich die europäischen Verfassungen in Bezug auf den Umweltschutz noch nicht von einer anthropozentrischen Haltung gelöst haben. Dies gilt nicht nur für Artikel 45 der spanischen Verfassung, sondern auch für Artikel 23 Nr. 4 der belgischen Verfassung, für die französische Umweltcharta, die 2005 in die französische Verfassung aufgenommen wurde, für Artikel 74 Nr. 1 der polnischen Verfassung und für Artikel 2 des ersten Kapitels der schwedischen Regierungsurkunde, um nur einige zu nennen. All diese Bestimmungen stellen eher den “Menschen in den Mittelpunkt des Umweltschutzes und nicht die Natur selbst", um es mit den Worten von Fuchs zu sagen.
Aus dem traditionellen Anthropozentrismus der europäischen Verfassungen folgt jedoch nicht, dass das gesamte Rechtssystem von Anthropozentrismus durchdrungen ist. Anthropozentrische Verfassungsbestimmungen haben den Gesetzgeber nicht daran gehindert, nicht-anthropozentrische Gesetze zu erlassen. Im Gegenteil, der Nicht-Anthropozentrismus ist in vielen westlich-liberalen Rechtsordnungen zu einem festen Bestandteil geworden. So schützt beispielsweise § 1 des deutschen Bundesnaturschutzgesetzes Natur und Landschaft nicht nur als Lebensgrundlage heutiger und künftiger Generationen, sondern auch “aufgrund ihres Eigenwertes". In § 3 des norwegischen Tierschutzgesetzes heißt es: “Tiere haben einen Eigenwert, der unabhängig von ihrem Nutzwert für den Menschen ist". Art. 120 Abs. 2 der Schweizerischen Bundesverfassung spricht von der “Würde der Kreatur sowie der Sicherheit von Mensch, Tier und Umwelt". Was Spanien betrifft, so erkennt das spanische Recht seit einer umfassenden Rechtsreform durch das Gesetz 17/2021 vom 15. Dezember über das Tierrecht, mit dem das Zivilgesetzbuch, das Hypothekengesetz und das Zivilprozessrecht geändert wurden, Tiere als Lebewesen an, die mit Gefühlen ausgestattet sind, und erkennt das Wohlergehen der Tiere als eigenständiges Interesse an.
Wie diese Beispiele zeigen, scheint der anthropozentrische Ansatz der europäischen Verfassungen kein Hindernis für den Gesetzgeber zu sein, nicht-anthropozentrische Gesetze zu erlassen. Vor diesem Hintergrund scheint der Fall Mar Menor nicht so revolutionär zu sein, wie er auf den ersten Blick erscheinen mag. Es handelt sich lediglich um die Ausweitung eines bestehenden nicht-anthropozentrischen Rechtsansatzes vor allem auf subkonstitutioneller Ebene, der bisher auch nicht als verfassungswidrig angesehen wurde. Gleichwohl sind Verfassungsänderungen, die den rechtlichen Nicht-Anthropozentrismus einbeziehen, nach wie vor wünschenswert, um klare und solide sozialrechtliche Grundlagen für die Rechte der Natur und die weitere ökologische Transformation zu schaffen. Für das deutsche Grundgesetz hat Jens Kersten in jüngster Zeit zahlreiche konkrete und überzeugende Vorschläge für ein “Ökologisches Grundgesetz" gemacht.
Ein weiterer Kritikpunkt von Fuchs ist, dass das Mar-Menor-Gesetz keinen ausreichenden Bezug zum sozio-kulturellen Kontext des Mar Menor herstellte und damit eine argumentative Grundlage für die Anerkennung der Lagune als Rechtssubjekt fehlte. Im Gegensatz zum Mar Menor-Fall hatten nicht-spanische Naturrechtsfälle einen “engen Bezug (…) zu ethnischen Kosmovisionen". Im Vergleich zu Fällen, z.B. in Neuseeland oder Kolumbien, fehlte diese “argumentative Säule" im Fall des Mar Menor".
Es stimmt, dass indigene Kosmovisionen in vielen Fällen eine gewisse, manchmal sogar die größte Rolle bei der Anerkennung von Naturrechten gespielt haben. Diese Feststellung sollte jedoch nicht von der Tatsache ablenken, dass die Rechte der Natur an verschiedenen Orten auf sehr unterschiedliche Weise und vor verschiedenen politischen, kulturellen und rechtlichen Hintergründen anerkannt wurden. Während beispielsweise in Indien der Hinduismus eine entscheidende Rolle für die gerichtliche Anerkennung von Naturrechten spielte, findet sich im ugandischen Umweltgesetz von 2019, das in seinem Artikel 4 Naturrechte anerkennt, kein Hinweis auf indigene Kosmovisionen. Und selbst in den lateinamerikanischen Fällen, in denen politische Ambitionen neu gewählter linker Regierungen überhaupt erst den Raum für Rechtsreformen schufen, waren indigene Kosmovisionen nur ein Aspekt unter vielen, die zur Anerkennung von Naturrechten führten. Vor allem dort, wo Naturrechte nicht lokal, sondern wie in Ecuador, Bolivien oder Uganda auf Verfassungs- oder Gesetzesebene implementiert wurden und daher für den gesamten Staat und nicht nur für Gebiete ethnischer oder indigener Minderheiten gelten, können Naturrechte nicht auf bestimmte ethnische oder indigene Hintergründe beschränkt werden.
Wenn es eine Gemeinsamkeit gibt, die alle Fälle von Naturrechten weltweit verbindet, dann ist es das Bestreben, sie als Instrument zu nutzen, um den Umweltschutz effektiver zu gestalten und die Beziehung zwischen Mensch und Natur nachhaltig in Richtung einer gesunden Koexistenz zu verändern. Dieses Argument findet sich in allen Naturrechtsfällen weltweit, vielleicht mit Ausnahme Neuseelands. Genau an diesen Faden knüpft der Fall Mar Menor an. Und es ist gerade der Aspekt des Umweltschutzes, der eine Verbindung zwischen den bestehenden Naturrechten im Globalen Süden und ihrer zukünftigen Umsetzung im Globalen Norden herstellt und so einen fruchtbaren globalen Diskurs über die Rechte der Natur ermöglicht.
Fuchs räumt ein, dass das Konzept der Natur als Rechtssubjekt im Prinzip auch auf Regionen angewendet werden kann, in denen keine angestammten oder indigenen Gemeinschaften leben. Sie ist jedoch der Ansicht, dass der spanische Gesetzgeber es versäumt hat, den inneren Zusammenhang zwischen den Rechten und der Kultur der Bevölkerung von Murcia und dem Mar Menor selbst zu entwickeln". Meines Erachtens beruht diese Kritik auf einem Vergleich, der schwer zu ziehen ist. Ohne ein Experte für die Region Murcia zu sein, denke ich, dass das Gesetz gut in den regionalen Kontext eingebettet ist.
Zunächst einmal hat der “regionale Kontext" im Fall des Mar Menor eine andere Bedeutung und Relevanz als der “regionale Kontext" in Fällen von Naturrechten in Lateinamerika. Aufgrund der unterschiedlichen sozialen Struktur in Spanien (und Europa) ist die Rolle und der Status der Bewohner der Region Murcia in der relativ homogenen spanischen Gesellschaft kaum mit dem von ethnischen oder indigenen Minderheiten in Lateinamerika vergleichbar, die in einem bestimmten Gebiet leben. Es stellt sich daher schon die Frage, ob es sinnvoll ist, von “den Rechten und der Kultur der Menschen in Murcia" zu sprechen, wie man es z.B. bei den “Rechten und der Kultur" einer bestimmten indigenen Gemeinschaft im Amazonasgebiet oder an den Flüssen Atrato oder Whanganui tut. Wenn der spanische Gesetzgeber also vom “wirksamen Schutz der Natur und der mit ihr eng verbundenen Kulturen und Lebensformen der Menschen spricht, wie dies bei den an die Lagune Mar Menor angrenzenden Gemeinden der Fall ist", so zielt dies nicht darauf ab, wie Fuchs es nennt, einen besonderen “inneren Zusammenhang zwischen der Natur und der Kultur der in der Region Mar Menor lebenden Menschen" herzustellen, der besonders begründet werden müsste. Vielmehr ist der Fall Mar Menor auch in jeder anderen Region Spaniens (und Europas) denkbar. Dies zeigt auch der letzte Halbsatz “wie im Fall der an die Lagune Mar Menor angrenzenden Gemeinden", der das Mar Menor nur als Beispielfall herausstellt.
An mehreren Stellen gelingt es dem Gesetz, seine ganz eigenen Grundlagen für eine eher westlich-liberale Auffassung von Naturrechten zu legen, bei der das Hauptargument die Effektivierung des Umweltschutzes ist. In der Präambel des Gesetzes werden als Gründe für seine Verabschiedung die “ernste sozio-ökologische, ökologische und humanitäre Krise" des Mar Menor sowie die “Unzulänglichkeit des derzeitigen Rechtssystems zum Schutz der Umwelt genannt, obwohl in den letzten fünfundzwanzig Jahren wichtige Regelungen und Instrumente eingeführt worden sind". Vor diesem Hintergrund heißt es, dass “es an der Zeit ist, einen qualitativen Sprung zu machen und ein neues rechtlich-politisches Modell anzunehmen, das im Einklang mit der internationalen juristischen Avantgarde und der weltweiten Bewegung für die Anerkennung der Rechte der Natur steht".
Was Fuchs nicht erwähnt, ist, dass in der Präambel von der Krise die Rede ist, die sowohl “das Mar Menor als auch die Bewohner seiner Küstengemeinden erleben", und die Rolle des Mar Menor als “Element der kulturellen Identifikation der Region Murcia" hervorgehoben wird, das “in allen Murcianern eine starke emotionale Bindung weckt", wodurch es ausdrücklich in den regionalen Kontext gestellt wird. Außerdem wird festgestellt, dass die Gewährung von Rechten für das Mar Menor “die Rechte der Menschen, die in dem von ökologischer Degradation bedrohten Lagunengebiet leben, stärkt und ausweitet". Außerdem sind Vertreter der lokalen Bevölkerung in den Gremien vertreten, die das Mar Menor repräsentieren. Nicht zuletzt die Tatsache, dass das Gesetz aus einer Gesetzesinitiative der Bürger hervorgegangen ist, beweist die offensichtliche Verbindung zwischen dem Mar Menor als Rechtssubjekt und der regionalen Bevölkerung.
Das Gesetz befasst sich daher explizit mit dem Versagen des westlichen liberalen Rechts bei der Bewältigung der Umweltkrisen des Anthropozäns mit ihren negativen Auswirkungen auf Mensch und Natur in den letzten Jahrzehnten und versucht, damit fertig zu werden. Dabei wählt das Gesetz einen explizit westlich-liberalen Ansatz, wenn es die Ausdehnung der Rechtspersönlichkeit auf die Natur “auf die Erkenntnisse der Wissenschaften vom Leben und vom Erdsystem" stützt und sich damit für einen wissenschaftsbasierten bio- und ökozentrischen Ansatz entscheidet, statt sich auf den Holismus oder andere vorwiegend religiös-ideologische Ansätze zu berufen. Diese pragmatische Grundlage spricht dagegen, das Gesetz als “Ökopopulismus" oder “Rechtsutopie oder -fetischismus" zu bezeichnen. Die Tatsache, dass das Gesetz nicht einfach von bestehenden Naturrechtsfällen im Sinne einer juristischen Transplantation kopiert, zeigt, wie anpassungsfähig das Konzept angesichts der ökologischen Krisen bereits im klassischen europäischen Rechtsdenken ist. Der Fall Mar Menor kann daher als Modell für weitere Umsetzungen von Naturrechten im Globalen Norden dienen.
Die zentrale Frage des Artikels von Fuchs ist, “ob die rechtlichen und soziokulturellen Grundlagen des Konzepts der Naturrechte, wie sie in den genannten Fällen, insbesondere in den aus Lateinamerika stammenden, entwickelt wurden, auch in Europa und für den Fall Mar Menor tragfähig sind". Diese Frage trifft nicht den Kern der Idee der Einführung von Naturrechten in Europa. Aufgrund der soziokulturellen und rechtlichen Unterschiede kann das Mar Menor-Gesetz kein einfaches juristisches Transplantat sein, sondern kann und muss seine eigenen Grundlagen bilden. Mit anderen Worten: Die Kritik von Fuchs baut auf dem Vergleich mit Präzedenzfällen aus anderen Rechtskulturen auf, was es gleichzeitig schwierig macht, den einzigartigen und neuen Ansatz des Mar Menor-Gesetzes anzuerkennen. Das Gesetz ist ein konzeptioneller Erfolg, weil es eine eigene Argumentationsgrundlage schafft, die sich von früheren Fällen unterscheidet. Es schafft den Beginn einer westlichen liberalen Konzeption von Naturrechten, als, in den Worten von Fuchs, “ein weiteres Mosaiksteinchen einer globalen Bewegung für ökologische Gerechtigkeit".
Schließlich hat Fuchs Recht, wenn sie betont, dass “jedes neue Konzept ‘ökologischer Gerechtigkeit’ (…) verfassungsrechtlich fundiert sein muss, sich in die spezifischen Rechtstraditionen und -kulturen eines jeden Landes oder einer jeden Region einfügen und seine Wirkung nicht ignorieren darf". Der Wert des Falles Mar Menor liegt darin, dass er diese Fragen direkt oder indirekt aufwirft und anspricht. Indem er ein Experiment wagt, stößt er neue gesellschaftliche und rechtliche Aushandlungsprozesse an, zu denen auch das anstehende Urteil des spanischen Verfassungsgerichts beitragen kann. Es versteht sich von selbst, dass die Ideen des Gesetzes weiter ausgearbeitet und verhandelt werden müssen. Zwar enthält das Gesetz Unsicherheiten, insbesondere hinsichtlich der künftigen Durchsetzung der Rechte des Mar Menor durch die neu geschaffenen Vertretungsorgane. So wird, wie Fuchs zu Recht anmerkt, “erst die Zukunft zeigen, ob die Verleihung der Rechtspersönlichkeit an das Mar Menor tatsächlich einen effektiveren Umweltschutz bedeutet". Dies ist jedoch weniger überraschend, wenn man bedenkt, dass dies der erste europäische Naturrechtsfall überhaupt ist, der kein Vorbild in der europäischen Rechtspraxis hatte. In diesem Sinne ist das Gesetz ein Pionier. Inspiriert von Naturrechtsfällen im globalen Süden ist der Fall Mar Menor nicht das Ende, sondern der Anfang einer neuen Rechtsentwicklung. Er schafft einen Präzedenzfall für eine mögliche ökologische Transformation westlicher liberaler Rechtssysteme durch Naturrechte in Europa.
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