In einem Meinungsbeitrag mit dem Titel „Volksbegehren müssen von Unsinn befreit werden“ stellt der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen (CDU), die Legitimität direkter Demokratie offen in Frage – zumindest dann, wenn sie unbequem wird.
Gemeint ist das Berliner Volksbegehren „Berlin autofrei“, das den Autoverkehr in der Innenstadt drastisch reduzieren will – ein Vorschlag, der durch das Berliner Verfassungsgericht als nicht verfassungswidrig eingestuft wurde. Diepgen nennt es trotzdem: „Unsinn“.
1. Was ist eigentlich „Unsinn“ – und wer bestimmt das?
Was Diepgen für Unsinn hält, ist in Wirklichkeit:
- ein demokratisch eingereichter Gesetzentwurf,
- juristisch geprüft,
- auf breite Unterstützung aus der Zivilgesellschaft gestützt.
Die Wortwahl des Artikels (Extremisten, Unsinn, Lobbygruppen) zielt nicht auf Argumente – sondern auf Delegitimierung.
2. Direkte Demokratie – nur wenn sie nicht stört?
Die zentrale Botschaft des Beitrags lautet:
Volksbegehren sind gefährlich, wenn sie zu weit gehen.
Das ist ein alarmierendes Demokratieverständnis. Denn es bedeutet:
- Mitbestimmung ja – solange sie symbolisch bleibt.
- Beteiligung ja – solange sie nichts verändert.
- Bürgerwillen ja – solange er in bestehenden Systemlogiken verharrt.
Doch genau dafür ist direkte Demokratie nicht gemacht.
3. Eigentum contra Gemeinwohl?
Besonders bemerkenswert ist Diepgens Argument, dass eine Begrenzung der Autonutzung ein Eingriff in das Eigentumsrecht sei.
Doch:
- Besitz ≠ grenzenlose Nutzung.
- Eigentum endet dort, wo es die Rechte anderer oder das Gemeinwohl verletzt.
- Persönlichkeitsrechte schützen nicht Gewohnheiten, sondern Entfaltungsspielräume – auch die der nächsten Generation.
4. Die wahre Leerstelle: Kein Wort zur Klimakatastrophe
Der Artikel verliert kein Wort über:
- die ökologische Zerstörung unserer Städte,
- die gesundheitlichen Folgen von Verkehrspolitik,
- die Verantwortung gegenüber kommenden Generationen.
Der Besitzstand wird verteidigt – aber nicht das Leben.
5. Wer spricht hier?
Eberhard Diepgen steht für eine politische Generation, die sich durch Beteiligung von unten eher gestört als gestärkt fühlte. Dass ausgerechnet er nun fordert, Volksbegehren von „Unsinn zu befreien“, ist bezeichnend – und macht klar:
Was unsinnig erscheint, ist oft nur unbequem für bestehende Machtverhältnisse.
Fazit: Demokratie darf wehtun
Volksbegehren sind kein Luxusproblem. Sie sind ein Ausdruck lebendiger Demokratie – gerade in Zeiten ökologischer und sozialer Kipppunkte.
Was wir brauchen:
- Mehr demokratischen Mut,
- mehr Mitweltgerechtigkeit,
- mehr Respekt für Bürger:innen, die sich einmischen.
Was wir nicht brauchen:
- Den Vorwurf des Unsinns, sobald Veränderung real wird.
Wir stehen für eine Demokratie, die auch die Rechte der Natur ernst nimmt – nicht nur die Besitzverhältnisse der Jetztzeit.