NRW: Bürger-Eingabe zu Art. 20a GG – Hambach (Manheimer Sündenwäldchen)

NRW: Eingabe nach §13 VwVfG aktiviert Art. 20a GG – Fall Hambach
Art. 20a GG im Vollzug
Sprache:

Teil der Forschungsreihe Systemische Rechtsentwicklung
– Laufende Resonanz- und Evaluationsphase gemäß § 13 VwVfG i. V. m. Art. 20a GG.
Antwort der Bezirksregierung Arnsberg liegt vor; Art. 20a GG wird als Prüfmaßstab bestätigt.

Aktualisiert: · Koordination: Hans Leo Bader · Mitwirkende: Sabina Rothe · Helmut Scheel
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NRW: Systemische Eingabe aktiviert Art. 20a GG im Fall Hambach

Am 17. Oktober 2025 wurde beim Umweltministerium NRW und der Bezirksregierung Arnsberg eine Eingabe nach § 13 VwVfG NRW eingereicht. Sie fordert eine verfassungsgeleitete Prüfung laufender Erdbewegungen und Eingriffe am Tagebau Hambach – insbesondere im Bereich Manheimer Bucht / „Sündenwäldchen“ – auf Vereinbarkeit mit der Schutzpflicht aus Art. 20a GG.

Vom Schutz der Natur zur verfassungsgebundenen Vorsorge – präventiv, nicht erst nach dem Schaden.

Was hier neu ist

Die Eingabe beansprucht kein subjektives Klagerecht, sondern aktiviert eine objektive staatliche Pflicht: Art. 20a GG als Prüfauftrag für die Verwaltung. § 13 VwVfG NRW öffnet das Beteiligungsfenster, damit ökologische Integrität präventiv im Vollzug gespiegelt wird.

Rechtlicher Rahmen

  • Ort / Thema: Tagebau Hambach – Südfläche „Manheimer Bucht“ / „Sündenwäldchen“
  • Grundlagen: § 13 VwVfG NRW · Art. 20a GG · Vorsorgeprinzip Art. 191 Abs. 2 AEUV · § 2 Abs. 2 BNatSchG
  • Ziel: Verfassungsgeleitete Selbstprüfung und Zurückhaltung bei irreversiblen Eingriffen – Funktionsschutz statt bloßer Rekultivierung.

Erweiterungen der Eingabe

  • 30. 10. 2025 – Erste Erweiterung (Garzweiler / Giftmüll): Überträgt das unionsrechtliche Vorsorgeprinzip (Art. 191 Abs. 2 AEUV) auf den Fall und macht die Schutzpflichtlücke zwischen Ermittlungsgeheimnis und präventiver Gefahrenabwehr sichtbar. → DOI 10.5281/zenodo.17569246
  • 01. 11. 2025 – Zweite Erweiterung (Feiertagsarbeiten „Sündenwäldchen“): Dokumentiert Erdarbeiten am Stillen Feiertag und fragt nach Rechtsgrundlage, Zuständigkeit und Dokumentation der Aufsicht. → DOI 10.5281/zenodo.17569788

Aktueller Stand – Formelle Resonanz

Mit Schreiben vom 24. Oktober 2025 reagierte die Bezirksregierung Arnsberg auf die Eingabe. Sie betont den Stellenwert des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen und verweist darauf, dass in der Zulassung des Hauptbetriebsplans Hambach (20. 12. 2024) mehrfach auf Art. 20a GG und die Klimaschutz-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Bezug genommen wurde.

Gleichzeitig stellt die Behörde klar, dass sie auf dieser Grundlage keine rechtliche Möglichkeit für ein Aussetzen der Arbeiten sieht und die RWE Power AG auf die Bestandskraft der Genehmigung vertrauen dürfe.

Ministerielle Resonanz · Bezirksregierung Arnsberg

Die Antwort der Bezirksregierung Arnsberg stellt einen wichtigen methodischen Resonanzpunkt dar. Sie bestätigt die Einbindung von Art. 20a GG in die behördliche Prüfpraxis – versteht ihn jedoch noch nicht als eigenständige präventive Handlungspflicht.

  • Art. 20a GG und die Klimaschutz-Rechtsprechung des BVerfG werden als Prüfungsmaßstäbe benannt und in Bezug auf das Klimaschutzgesetz interpretiert.
  • Die Behörde sieht darin keinen Anlass, den Hauptbetriebsplan neu aufzurollen oder die Arbeiten auszusetzen.
  • Methodisch zeigt die Antwort, dass Art. 20a GG zwar formell „berücksichtigt“ wird, aber funktional noch nicht als operative Vorsorgepflicht greift.

Die Antwort aus Arnsberg ist kein Scheitern der Methode, sondern ihr erster nachweisbarer Resonanzpunkt: Art. 20a GG ist im System angekommen – die Frage ist nun, wie tief er wirken darf.

Hinweis: Diese Zusammenfassung gibt den wesentlichen Inhalt des Schreibens wieder, ohne das Dokument selbst zu veröffentlichen. Eine Einsicht kann im Rahmen des UIG beantragt werden.

Am 10. 11. 2025 leitete das Umweltministerium NRW die zweite Erweiterung zuständigkeitshalber an die Stadt Kerpen weiter (CC: Sabina Rothe, Helmut Scheel). Damit wird der Prüfimpuls erstmals sichtbar in den kommunalen Vollzug überführt.

Dokumentation & DOIs

Status: Eingabe (17. 10.) · Erw. I (30. 10.) · Erw. II (01. 11.) · Antwort Arnsberg (24. 10.) · Weiterleitung Kerpen (10. 11.)

Mitwirkende: Hans Leo Bader · Sabina Rothe · Helmut Scheel

📄 Haupteingabe: 10.5281/zenodo.17465271

📄 Erste Erweiterung: 10.5281/zenodo.17569246

📄 Zweite Erweiterung: 10.5281/zenodo.17569788

Hambach als Lehrfall: Klimaklagen und Systemische Rechtsentwicklung

Der Restwald am Tagebau Hambach macht sichtbar, wie unterschiedlich strategische Klimaklagen und die Systemische Rechtsentwicklung im selben Konflikt wirken und sich gegenseitig ergänzen können.

Auf der einen Seite steht die Verbandsklage des BUND gegen den Hauptbetriebsplan von RWE. Sie versucht mit klassischen Mitteln der Verbandsklage im Naturschutzrecht, die weitere Rodung zu stoppen und gerichtliche Grenzen für den Konzern und das Land Nordrhein Westfalen zu markieren. Das OVG Münster lehnt den Eilantrag ab, die Rodung beginnt wenige Tage später. Juristisch wichtig, politisch sichtbar, aber für den Wald kommt das Signal zu spät.

Parallel dazu setzt die Systemische Rechtsentwicklung am selben Ort anders an: über Eingaben nach § 13 VwVfG NRW in Verbindung mit Art. 20a GG an die Bezirksregierung Arnsberg. Diese Eingaben zwingen die Behörde, sich zur CO2-Senkenfunktion, zum Funktionsschutz von Boden und Biotopverbund und zur Verhältnismäßigkeit der geplanten Erdbewegungen zu verhalten. Sie erzeugen Aktenlage, Begründungsdruck und eine dokumentierte Lernspur für künftige Entscheidungen.

In Kurzform:

  • Die Klimaklage Hambach zielt auf ein gerichtliches Stoppsignal, schafft Öffentlichkeit und grundsätzliche Klärung, arbeitet aber langsam und endet binär mit gewonnen oder verloren.
  • Die Systemische Rechtsentwicklung aktiviert Art. 20a GG bereits im laufenden Verwaltungshandeln, arbeitet mit Resonanzzyklen (Eingabe, Antwort, Erweiterungen) und baut eine Referenz dafür auf, wie Funktionsschutz der natürlichen Mitwelt in vergleichbaren Verfahren geprüft werden muss.

Der Fall zeigt, was mit der Implementierungslücke gemeint ist, also der Lücke zwischen dem, was Verfassungsrecht und Gerichtsurteile verlangen, und dem, was im Verwaltungsalltag tatsächlich geprüft und begründet wird. Die Systemische Rechtsentwicklung setzt genau dort an. Sie ersetzt Klimaklagen nicht, sondern schließt diese Implementierungslücke zwischen großen Urteilen und täglichem Verwaltungsvollzug im Fall Hambach sehr konkret. Klimaklagen schaffen die Rechtsprinzipien, die Systemische Rechtsentwicklung bringt sie in den Alltag der Verwaltung.

Resonanz Hambach – „RWE-Land“ als innere Rechtslage

In der Region rund um den Tagebau Hambach gilt für viele seit Jahrzehnten eine unausgesprochene Regel: „Das ist RWE-Land – was RWE macht, ist Gesetz.“ Wiederholte Erfahrungen mit Umsiedlungen, Genehmigungen und Entscheidungen zugunsten des Konzerns haben eine innere Rechtslage entstehen lassen, in der der Konzern als faktischer Normsetzer erscheint und Verfassungsrecht abstrakt bleibt.

NRW-Resonanz – Garzweiler-Rückkauf, Vereinbarungen und Verfassung

Im selben politischen Raum, in dem der Fall Hambach verhandelt wird, laufen weitere Entwicklungen: die „Zukunftsdörfer am See“ rund um Garzweiler II, das Eckpunktepapier von 2022 zwischen Bund, Land NRW und RWE, die Rahmenvereinbarung zwischen der Stadt Kerpen und RWE (2017) und Art. 27 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen.

Auf dem Papier klingt vieles ambitioniert: nicht mehr benötigte Flächen sollen zu „angemessenen Konditionen“ an Land oder Kommune gehen, ehemalige Eigentümer sollen Rückkaufmöglichkeiten haben, die Dörfer sollen „Zukunftsdörfer am See“ werden, der Hambacher Wald Teil eines Biotopverbunds. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass Rückkehr und Rückkauf für viele frühere Bewohner vor allem eine Preis- und Machtfrage bleiben.

Die WDR-Recherchen zur Rahmenvereinbarung Kerpen–RWE machen zusätzlich deutlich, wie eng kommunale Politik und Konzerninteressen teilweise miteinander verflochten sind: Die Stadt stellt die Weiterentwicklung des Tagebaus nicht in Frage, im Gegenzug werden wirtschaftliche Kooperationen, Arbeitsplätze sowie Sponsoring und Hilfestellungen vereinbart. Kritikerinnen und Kritiker sehen darin eine politische Konstellation, in der Widerstand der Kommune von vornherein wenig wahrscheinlich ist.

Parallel dazu steht in der NRW-Verfassung seit 1950 ein klarer, aber im öffentlichen Diskurs selten aufgegriffener Maßstab: Art. 27 LV NRW sieht vor, dass Großbetriebe der Grundstoffindustrie und Unternehmen mit monopolartiger Stellung in Gemeineigentum überführt werden sollen und dass Zusammenschlüsse, die ihre wirtschaftliche Macht missbrauchen, zu verbieten sind. Die Norm existiert, wird politisch jedoch bislang kaum ernsthaft diskutiert.

Für die Systemische Rechtsentwicklung sind diese Beispiele vor allem eine Resonanzfolie: Sie zeigen die Spannung zwischen verfassungsrechtlichen Ansprüchen, politischen Verständigungen und dem tatsächlichen Verwaltungsvollzug. Unsere Arbeit setzt an der Stelle an, an der aus Leitbildern konkrete Pflichten werden: bei der Dokumentation, Begründung und Verantwortung nach Art. 20a GG, Art. 191 Abs. 2 AEUV, WRRL, UVPG und BNatSchG. Politische Vereinbarungen bleiben der Rahmen – entscheidend ist, was Behörden am Ende belastbar prüfen und vertreten müssen.