Volksbegehren – Der Weg

Das Ziel
Der Weg
Bündnispartner
Aktiv werden!
Schirmherr(in)

Was bedeutet die im Rahmen einer Bürgergesetzgebung angestrebte Änderung eines Verfassungsartikels, wie z.B. des Artikels 101 der bayerischen Verfassung oder des Artikels 7 der Berliner Verfassung?

Mit der jeweils vorgeschlagenen Neufassung dieser Artikel wird die Rechtssubjektivität der natürlichen Mitwelt grundsätzlich anerkannt und direkt auf Inhalt und Grenzen der allgemeinen Handlungsfreiheit bezogen.

Daraus ergeben sich zwangsläufig Inhaltsbegrenzungen anderer Grundrechte (soweit sie als Ausformung der allg. Handlungsfreiheit zu verstehen sind), darunter z.B. die Eigentumsgarantie.

Mit der bloßen Neufassung z.B. des Artikels 101 der bayerischen Verfassung wird also ein Prozess in Gang gesetzt, bei dem der einfache Gesetzgeber, die Exekutive und die Gerichte zu neuen Inhaltsbestimmungen aller relevanten Grundrechte (einschl. Eigentum) gelangen, ja gelangen müssen. Es braucht daher keiner besonderen Einklagbarkeit von Rechten der natürlichen Mitwelt und/oder der treuhänderische Wahrnehmung ihrer Interessen.

Dies heißt freilich nicht, dass dies unnötig oder gar unsinnig wäre. Einzelne Gesetze (Naturschutz, Wald, Pflanzenschutz etc.) z.B. können Treuhandklagen oder Treuhandanwaltschaften ausdrücklich vorsehen. Aus rechtspraktischen Gründen kann dies sehr sinnvoll sein.

Nur sind Treuhandschaft und Naturanwälte keine unabdingbare Voraussetzung dafür, der Neufassung des Art. 101 volle Geltung für eine Ökologisierung des Rechts insgesamt zu verschaffen.

Genauso wie individuelle Freiheitsausübung nur im Rahmen der gleichen Rechte der Mitmenschen möglich ist, kann sie sich nur im Rahmen der Rechte der natürlichen Mitwelt vollziehen. Die Anerkennung der Rechtssubjektivität der natürlichen Mitwelt ist somit Ausdruck eines Freiheitsbegriffes der die objektive bestehende ökologische Eingebundenheit des Menschen reflektiert. Rechtspraktisch bedeutet dies, dass es fortan kein Recht auf Naturausbeutung mehr gibt, sondern lediglich ein Recht auf ökologisch nachhaltige Nutzung.

Klaus Bosselmann – Sieben Punkte zu den Rechten der Natur

1. Begriffsunschärfe der „Rechte der Natur“

Weltweit gibt es Einzelbeiträge, Untersuchungen und Vorschläge zu den Rechten der Natur
schon seit den 1980er Jahren. In der internationalen Literatur zur Rechtstheorie,
Rechtsphilosophie und politischen Ökologie sind sie seither inhaltlich gut erschlossen. Aber
erst durch ihre Anerkennung in der Verfassung Ecuadors (2008) und durch Gerichtsurteile und
Gesetzesänderungen in verschiedenen Ländern ist eine öffentliche Diskussion ausgelöst
worden. Dies hat die RdN populär gemacht, aber auch zu Vereinfachungen,
Missverständnissen und Polarisierungen geführt.

2. Zweischneidigkeit

Als Begriff sind die „Rechte der Natur“ ein zweischneidiges Schwert. Rechte passen ins Bild
der westlichen Rechtstradition, die sich auf individuellen Rechten gründet. Wer Rechte hat,
zählt, wer keine Rechte hat, zählt nicht. Vergessen wird in diesem Kontext, dass es keine
Rechte ohne Pflichten geben kann und dass auch Menschenrechte in ihrer Wirksamkeit von
entsprechenden Pflichten abhängig sind (wie z.B. in den Haager Grundsätzen von 2018
ausgedrückt). Aus der „Pflichtvergessenheit“ von Rechten erwächst die Gefahr, dass Rechte
der Natur als bloße Erweiterung des Kataloges individueller Rechte (von natürlichen oder
juristischen Personen) missverstanden werden. Dies kann zu wenig hilfreichen Abwägungen
zwischen konkurrierenden Individualrechten führen. Ein mit Rechtssubjektivität
ausgestatteter Fluss etwa oder Landschaftsverbund oder ein Tier steht dann in direkter
Opposition zu den Eigentumsrechten z.B. eines Industriekonzerns. In Einzelfällen kann dies
durchaus funktionieren, birgt aber das Risiko, ökologische Realitäten und Zusammenhänge zu
übersehen und damit einer grundlegenden Veränderung des Mensch-Naturverhältnisses im Wege zu stehen.

3. Der ökologische Rahmen der Rechte der Natur

Aus umweltethischer Sicht ist das Konzept der Rechte der Natur sinnvoll, soweit es der
Überwindung westlicher Anthropozentrik dient. Im Zentrum sollte nicht der Mensch als
solcher stehen – schon gar nicht die westlich-individualisierte Person -, sondern die Mensch-
Naturbeziehung, so wie sie nach wie vor in vielen, zumal indigenen, Kulturen verstanden wird,
aber auch zur vor-industriellen westlichen Kulturgeschichte gehört. Auf historischphilosophischer
Sicht kann diese Beziehung entweder dualistisch, d.h. kategorisch getrennt,
oder dialektisch, d.h. voneinander abhängig, gedacht werden. In der vorherrschenden
Tradition des Dualismus erscheinen Anthropozentrik und Ökozentrik als Gegensatzpaar, in
dem ökozentrisches Denken als entweder unmöglich oder verwirrend gedeutet wird. In
einem dialektischen bzw. ganzheitlichen Denkmodus ist dagegen nicht nur alles miteinander
verbunden, sondern es sind die Beziehungen selbst – nicht „der Mensch“ oder „die Natur“ -,
die im Vordergrund stehen. In der Wissenschaft sind diese Wechselbeziehungen Gegenstand
der Ökologie (soweit sie anthropogene Ein- und Rückwirkungen einbezieht). Sie muss zur
Grundlage gesellschaftlicher Entwicklung und ihrer normativen Gestaltung werden, gerade
auch deswegen, weil sie hilft, dualistische Gewohnheiten hinter uns zu lassen.
Die Stärke der ökologischen Ethik ist, dass sie sich gleichermaßen philosophisch und
anthropologisch wie naturwissenschaftlich begründen lässt. Auf das System der „Rechte“
angewandt, ist der Begriff „ökologische Rechte“ daher treffender als Rechte der Natur, weil
er die Integration von menschlichen und nicht-menschlichen Wechselbeziehungen
beschreibt. Für die dringend benötigte ökologische Wende geht es daher auch nicht allein um
die Anerkennung von Rechten der Natur – etwa im Bundesnaturschutzgesetz -, sondern um
einen „ökologischen Rechtsstaat“ (Bosselmann) oder um ein „ökologisches Grundgesetz“
(Kersten). In diesem Kontext können RdN ein wichtiger Schritt zu einer sozial-ökologischen
Transformation sein.

4. Ökologische Erweiterung von Grundrechten

Der Natur Rechte zu geben, kann daher nur ein Anfang sein und auch nur dann, wenn sie
konkret-inhaltlich auf Menschen- und Grundrechte bezogen werden. Entscheidend ist,
Rechte der Natur als (ökologische) Erweiterungen der drei wichtigsten Grundprinzipien
westlicher Demokratien zu begreifen, nämlich Menschenwürde, Freiheit und Eigentum.
Menschenwürde ohne Achtung und Beachtung der Natur (in all ihren Lebensformen) bleibt
inhaltsleer angesichts der Tatsache, dass der Mensch ohne seinen Naturzusammenhang nicht
existieren kann. Ebenso ist wirkliche Freiheitsausübung nur innerhalb real vorhandener
ökologischer Spielräume möglich; deren Beachtung ist daher nicht freiheitsbegrenzend,
sondern freiheitsbegründend. Und Eigentum ohne Sozial- und Ökologiegebundenheit macht
Reiche noch reicher, Arme noch ärmer und wirkt letztendlich gesellschaftszerstörend. Rechte
der Natur stehen also nicht neben den Menschenrechten und nicht in Konkurrenz zu ihnen,
sondern dienen zu ihrer inhaltlichen Neubestimmung. Das traditionelle, von der Natur
getrennte Menschenbild wird auf ein seiner Naturzugehörigkeit bewusst gewordenes
Menschenbild erweitert. Dies ist zwar auch ohne RdN denkbar, wird aber durch einen
ernsthaft geführten RdN-Diskurs entscheidend befördert.

5. Der Weg zum ökologischen Recht

Über den bestmöglichen Weg zu einer Verankerung von Rechten der Natur lässt sich streiten.
Zum Beispiel ist es denkbar, daß die Initiative für einen Volksentscheid über die Änderung der
Bayerischen Verfassung einen Durchbruch bedeutet, von anderen Bundesländern
nachgeahmt wird und schließlich auch die Ebene des Grundgesetzes erreicht. Oder die
derzeitige Bundesregierung wird ihrem Führungsanspruch endlich gerecht und leitet eine
Verfassungsdiskussion ein, etwa wie es damals in Ecuador oder in Chile oder nun in
Neuseeland (mit seiner grundlegenden Reform des Umweltrechts) geschehen ist.
Vielleicht ist es auch schon ein wichtiges Zeichen, wenn das BNatSchG erweitert wird.
Immerhin definiert § 1(1) das Ziel, Natur und Landschaft auf Grund „ihres eigenen Wertes“
(und als Grundlage für Leben und Gesundheit des Menschen) zu schützen. Was noch immer
fehlt, ist die ökologische Dimension. Natur und Landschaft sind nicht einzelne Gebiete
(Biotope, geschützte Gewässer und Artenvielfalt), sondern vernetzte Ökosysteme, die alle
Lebensformen, also auch den Menschen, einschließt. Das zentrale Ziel – nicht nur des
Naturschutzes, sondern des Umweltschutzes insgesamt – sollte daher die Erhaltung der
Integrität der ökologischen Systeme sein wie dies z.B. in Neuseeland im „Natural and Built
Environment Act“ (verabschiedet im August 2023) geschehen ist.

6. Das Prinzip der ökologischen Integrität

Dieser hier angedeutete Ansatz würde auch dazu führen, daß ein zentrales Versprechen des
internationalen Umweltrechts eingelöst wird, nämlich die Erhaltung der Integrität der
Ökosysteme der Erde. In über 25 internationalen Umweltabkommen ist ökologische Integrität
als übergeordnetes Ziel formuliert, z.B. im Grundsatz 7 der Rio Erklärung von 1992 („die
Gesundheit und Integrität der Ökosysteme der Erde zu erhalten, zu schützen und
wiederherzustellen“), aber auch im Pariser Klimaabkommen (Präambel, Art. 4 und 6).
Was
fehlt, ist der politische Wille der Nationalstaaten, dieses Prinzip als Grundvoraussetzung einer
Nachhaltigen Entwicklung zu begreifen. Deutschland als viertgrößtes Industrieland könnte
hier eine wichtige Vorreiterrolle einnehmen.
Das Prinzip der ökologischen Integrität ist deshalb so erfolgsversprechend, weil es nicht auf
bloße Ressourcensicherung (z.B. Ökosystemfunktion) zielt, sondern auf Selbstorganisation
und Regeneration von Ökosystemen (um ihrer selbst Willen). Damit werden
anthropozentrisch-verkürzte Motivationen überwunden und eine Perspektive eröffnet, die
(westlichen) Rechtssysteme bisher nicht zugelassen haben, nämlich eine wirksame
sozialökologische 
Transformation.

7. Rechte der Natur als Instrument einer sozial-ökologischen Transformation

Der verfassungsrechtliche Kern einer solchen Transformation ist ein Konzept von Grund- und
Menschenrechten, das individuelle Freiheit nicht in einen Gegensatz zu den RdN setzt,
sondern im Gegenteil durch die Rechtssubjektivität der natürlichen Mitwelt menschliche
Freiheit neu definiert und dadurch im eigentlichen Sinne erst ermöglicht. Die (westlichen)
Rechtssysteme haben diese Perspektive bisher weitgehend ignoriert. Im Hinblick auf die
ökologische Krise und im Zeitalter des Anthropozän sind ökologieblinde Rechtssysteme
deshalb zum Scheitern verurteilt. Letztlich berauben sie Menschen ihrer Überlebensfähigkeit.
Dies wird sich erst ändern, wenn Eigentum nicht mehr ökologieblind und damit
naturzerstörend wirkt, sondern ökologisch eingebunden wird.
Der politische Diskurs zu den Rechten der Natur ist längst überfällig und muss dringend
geführt werden, weil er zu einer sozial-ökologischen Transformation führen kann. In der
Sache geht es um die Verankerung der RdN im Grundgesetz, so wie vom Netzwerk Rechte der
Natur vorgeschlagen. „Im Namen der Natur“ ist die Bundesregierung aufgerufen, diesem
Vorschlag nachzugehen und praktische Schritte zu unternehmen, wie er auf verfassungs- und
einfachgesetzlichen Ebenen umgesetzt werden kann.

Berlin, 22. November 2023