Warum „Rechte der Natur“ kein neues Klageinstrument sind.
Mai 28, 2025
By: mucmib
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Warum Rechte der Natur kein neues Klageinstrument sind – sondern ein neues Verhältnis
Zur Einordnung des Urteils im Fall Lliuya gegen RWE und was es für den Kampf um Klimagerechtigkeit bedeutet
Am 28. Mai 2025 hat das Oberlandesgericht Hamm ein bemerkenswertes Urteil gesprochen – und zugleich eine große Hoffnung begraben. Die sogenannte „Klimaklage“ des peruanischen Bergführers Saúl Luciano Lliuya gegen den deutschen Energiekonzern RWE wurde endgültig abgewiesen. Zehn Jahre nach Klageeinreichung ist der Fall juristisch abgeschlossen.
Doch was bleibt? Eine klare Botschaft: So mutig Einzelne auch kämpfen – das bestehende Recht reicht nicht aus, um ökologische Verantwortung wirklich durchzusetzen. Genau deshalb braucht es den Paradigmenwechsel, den die Rechte der Natur einleiten.
Der Fall Lliuya: Ein globales Problem vor Gericht
Saúl Luciano Lliuya lebt in den Anden, nahe Huaraz. Der Gletschersee Palcacocha oberhalb seiner Stadt ist durch die Klimakatastrophe stark angeschwollen. Lliuya wollte RWE anteilig an den Kosten für Schutzmaßnahmen beteiligen. Seine Argumentation: Der Konzern sei historisch für 0,47 % der weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich – also solle er 0,47 % der Schutzkosten übernehmen.
Juristisch wurde dieser Zusammenhang lange geprüft. Und das Gericht in Hamm hat in einem historischen Schritt anerkannt: Ja, ein Konzern kann grundsätzlich für Folgen des Klimawandels haftbar gemacht werden. Aber im konkreten Fall sah es keine ausreichend konkrete Gefährdung für Lliuyas Haus. Das individuelle Risiko sei zu gering, eine kausale Zurechnung nicht möglich. RWE bleibt juristisch außen vor – obwohl die Klimakatastrophe real ist.
Was das zeigt: Unser Recht kommt an seine Grenzen
Das Urteil belegt nicht etwa, dass Lliuya Unrecht hatte. Es zeigt vielmehr, dass unser Zivilrecht strukturell überfordert ist, wenn es um planetare Zusammenhänge geht. Es verlangt nach klarer Kausalität – aber die Realität ist systemisch. Es schützt Eigentum – aber nicht Ökosysteme. Es rechnet in Wahrscheinlichkeiten – aber ignoriert ökologische Kipppunkte.
Klimagerechtigkeit scheitert hier nicht an fehlendem Willen – sondern an falschen Voraussetzungen.
Rechte der Natur: Kein Klageinstrument, sondern ein anderes Rechtsdenken
Deshalb brauchen wir nicht einfach neue Klageinstrumente. Wir brauchen ein neues Verhältnis zwischen Recht und Leben. Genau das meinen wir, wenn wir von Rechten der Natur sprechen.
Nicht: „Jetzt kann ein Fluss klagen.“
Sondern: „Jetzt ist ein Fluss endlich anerkannt als Träger von Rechten.“
Es geht um Verfassungsrecht, nicht um Verfahrensrecht. Um das grundsätzliche Eingeständnis, dass Ökosysteme eine eigene Würde und Integrität besitzen – und der Staat verpflichtet ist, diese zu schützen.
Kein Wunderwerk – aber ein echter Wandel
Manche Gegner:innen behaupten, Rechte der Natur würden falsche Hoffnungen wecken. Die Wahrheit ist: Falsche Erwartungen entstehen dort, wo man weiter Einzelklagen mit symbolischer Strahlkraft führt – und strukturelle Änderungen auslässt.
Rechte der Natur versprechen keine schnellen Urteile. Aber sie schaffen einen Rahmen, in dem Verantwortung, Vorsorge und Verhältnisorientierung wieder Teil des Rechtsverständnisses werden.
Und das ist mehr als Symbolpolitik. Es ist eine Verlagerung des normativen Zentrums: Weg vom Menschen als Eigentümer – hin zum Menschen als Teil eines verletzlichen, wechselseitigen Lebenssystems.
Unser Volksbegehren: Ein Anfang, nicht ein Ersatz
In Bayern haben wir mit dem Volksbegehren „Rechte der Natur“ genau hier angesetzt. Wir sagen nicht: „Mit uns könnt ihr besser klagen – oder neue Klageinstrumente schaffen.“ Wir sagen: „Mit uns könnt ihr anders denken.“
Wir geben der Natur keine Rechte – wir erkennen sie an.
Wir laden nicht zur Eskalation – wir laden zur Mitverantwortung.
Wir schaffen kein Sonderrecht – sondern ein grundlegendes Update unseres Rechtsverständnisses.
Die Loisach ist dabei kein PR-Symbol, sondern ein Stellvertreter für das, was bisher nicht gehört wurde. Flüsse, Wälder, Landschaften – sie alle tragen das Leben, das uns trägt. Und verdienen eine Stimme in unserem Recht.
Was aus dem Fall Lliuya bleibt
Er hat gezeigt, wie mutig Einzelne sein können – und wie starr die Strukturen oft noch sind. Er hat keine Gerechtigkeit gebracht. Aber er hat das Problem sichtbar gemacht.
Rechte der Natur setzen genau da an. Nicht bei der Frage „Wer haftet?“, sondern bei der tieferliegenden Frage: „Was ist uns das Leben wert – und wie muss ein Recht aussehen, das es schützt?“
Die Antwort darauf beginnt nicht im Gerichtssaal. Sie beginnt in der Verfassung. In unserem Bewusstsein. Und in Bewegungen wie der unseren.